Hamburger Morgenpost vom
23.10.2004
"Todsichere Geldanlage"
Anja Schüller (28) wurde Opfer
eines gigantischen Immobilien-Skandals / Selbstmord aus Verzweiflung.
Anja Schüller hat Selbstmord
begangen. Ihr Vater behauptet : Eine Bausparkasse hat sie mit einer
Schrott-Immobilie ihn den Tod getrieben,
Sozial engagiert sei Anja
Schüller gewesen. Eine „ehrliche, anständige, aufrechte und fleißige"
OP-Schwester, die an ihrem Arbeitsplatz beliebt gewesen sei, sagt ihr
Vater. Keinerlei Sorgen habe sie gehabt, bis, ja, bis dubiose
Immobilienvermittler an sie herantraten und ihr dieses scheinbar lukrative
Angebot machten: Eine Eigentumswohnung praktisch zum Nulltarif. Für Klaus
Schüller, den Vater der Würzburgerin, steht fest, dass diese Vermittler und
die Badenia Bausparkasse, in deren Auftrag sie tätig gewesen sein sollen
„den Tod meiner Tochter verschuldet haben“.
1998 war es, als Anja Schüller
die Bekanntschaft der Immobilienhaie machte. Das Angebot klang einleuchtend
und verlockend. Eine Wohnung in Chemnitz solle sie kaufen und vermieten.
Mieteinnahmen einerseits und Steuervorteile andererseits würden reichen,
um den Kredit zu finanzieren. Einen Kredit der Badenia Bausparkasse. Als
Klaus Schüller seine Tochter am 17. September, also vor gut vier Wochen,
tot in ihrem Bett fand, lag neben ihr der Zwangsvollstreckungsbescheid.
Über 70 000 Euro, die die Badenia von ihr forderte. Die 28-jährige Frau
hatte sich selbst eine Infusion gelegt und so ihr Leben beendet.
Der Tod der Anja Schüller -
nicht der einzige Selbstmord, der im Zusammenhang steht mit einem
gigantischen Immobilienbetrug, an dem sich in den 90er Jahren zahlreiche
Banken und Bausparkassen beteiligt haben sollen. Immer wieder genannt: die
Badenia Bausparkasse, aber auch die HypoVereinsbank. Vier Menschen nahmen
sich bisher das Leben, weil ihnen die Schulden über den Kopf wuchsen.
Insgesamt 300 000 Betroffene, so wird geschätzt, gibt es. Viele schweigen.
Vor Scham. Die wenigsten wehren sich. Versuchen irgendwie mit den Schulden
zurecht zu kommen.
Der Trick war immer der gleiche,
berichtet Rechtsanwalt Julius Reiter aus Düsseldorf, der nicht nur Anja
Schüller vertreten hat, sondern für Hunderte weitre Opfer kämpft. Marode
Eigentumswohnungen, meist in Ostdeutschland, wurden den in aller Regel
wenig finanzstarken Kunden als Steuersparmodell angedreht. Später kam dann
die böse Überraschung. Denn :
- Erstens sind die Wohnungen
nicht selten um 20 bis 30 Prozent überteuert verkauft worden - so hoch waren
nämlich die Provisionen für die Vermittler.
- Zweitens sind die Wohnungen
kaum vermietbar - weil in Ostdeutschland das Angebot an Wohnraum die
Nachfrage weit übersteigt. - Und
- drittens sind sie auch noch
unverkäuflich - weil die Wohnungen oftmals in einem völlig maroden Zustand
sind.
„All das haben die Banken und
Bausparkassen ganz genau gewusst“, sagt Rechtsanwalt Reiter. Die Folge für
die Besitzer solcher Schrottimmobilien: Die Rechnung, die die Vermittler
ursprünglich vorlegten, ging nicht auf. Von wegen Nulltarif. Mehrere
Hundert Euro Belastung haben die meisten zu tragen. Zu viel für kleine
Gehälter. Und werden die Betroffenen dann auch noch arbeitslos, ist alles
zu spät. Versuche von Rechtsanwalt Reiter, im Falle von Anja Schüller einen
Vergleich mit der Badenia auszuhandeln, scheiterten. Auch die Intervention
des ehemaligen Bundesinnenministers Gerhart Baum half nicht.
„Gnadenlos“, so der Vater,
„hetzte die Badenia meiner Tochter Gerichtsvollzieher auf den Hals.“ Klaus
Schüller hat sich entschlossen, „den gigantischen Schwindel“ öffentlich zu
machen. Gestern demonstrierte der DGB-Sekretär aus Erfurt mit anderen
Besitzern so genannter „Schrottimmobilien“ vor der Badenia-Zentrale in
Karlsruhe, zog dann weiter quer durch die Stadt zu Geschäftspartnern der
Badenia und zur L-Bank. Die Demo endete vor dem
Bundesgerichtshof. Mitarbeitern der Bausparkasse überreichte Schüller einen
offenen Brief : „Machen Sie ehrliche Geschäfte“, heißt es darin, „die
Menschen nicht zum Selbstmord treiben.“ Und weiter: „Beraten Sie Ihre
Kunden so ehrlich, dass Sie morgens noch in den Spiegel schauen können.“
Übrigens: Gegen Verantwortliche
der Badenia ermittelt die Staatsanwaltschaft. Darunter auch gegen den
Ex-Finanzvorstand. Er soll genau im Bilde gewesen sein, wie die Vermittler
blauäugige Anleger überrumpelten. Für Badenia ein lohnendes Geschäft: Den
Verkauf von 8000 Schrottimmobilien finanzierte sie über Bausparverträge im
Gesamtvolumen von 680 Millionen Euro. OLAF WUNDER
KAMPF UM GERECHTIGKEIT
Viele Opfer des Immobilienbetrugs
zweifeln schon lange am Rechtsstaat. Manche zogen vor Gericht. Aber der
Bundesgerichtshof (BGH) fällte immer wieder bankenfreundliche Urteile nach
dem Motto: „Gekauft ist gekauft“. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH),
auf den viele ihre ganze Hoffnung setzen und der sich zur Zeit mit dem
Fall beschäftigt, scheint ebenfalls nicht den Opfern Recht geben zu wollen.
In einem Gutachten kam der EuGH-Generalanwalt Philippe Leger kürzlich zu
dem Ergebnis, dass sich die Anleger nicht auf das EU-Verbraucherrecht
berufen können. Das heißt: Folgt der Gerichtshof dem Gutachten können sich
die Geschädigten bei der Rückabwicklung der Kauf- und Darlehensverträge
nicht an die Banken halten. Das abschließende Urteil steht noch aus.
Immerhin haben die Anleger die Chance Schadenersatz von
Immobilienvermittlern zu erhalten - dann nämlich, wenn dieser die Käufer
über den sanierungsbedürftigen Zustand der Immobilie im Unklaren gelassen
hat.