Gefangen in der Schuldenfalle
Eine Schrott-Immobilie trieb die Krankenschwester Anja S. in den Selbstmord
Würzburg - Was die Verkäufer dubioser Schrott-Immobilien immer als Märchen
bezeichneten, erweist sich als wahr: Ihre windigen Versprechen trieben eine
junge Frau in Würzburg zuerst zum Kauf einer minderwertigen Wohnung, dann
wegen ihres geringen Einkommens in die Schuldenfalle und schließlich sogar
in den Tod.
Anjas Schreiben alarmierte am 17. September die
Eltern in Thüringen. "Holt mich heim," stand merkwürdigerweise im Brief der
jungen OP-Schwester. Der verzweifelte Ton und die mitgeschickten
Wohnungsschlüssel ließen schnell an einen Abschiedsbrief denken.
Die Eltern eilten nach Würzburg, wo die blonde
junge Frau als Krankenschwester arbeitete. Doch sie kamen zu spät, fanden
sie tot in ihrem Bett: "Sie hatte sich eine Infusion gelegt und ihr Leben
damit beendet." Anja wurde nur 28 Jahre alt.
Auf dem Tisch neben ihrem Bett fanden sich nicht
nur Abschiedsbriefe an Eltern und Bekannte, sondern auch der Grund für ihre
Verzweiflung: Bescheide der Bausparkasse Badenia zur Zwangsvollstreckung
über 70 000 Euro.
Anja hatte sich 1998 zum Kauf einer von der
Bausparkasse vorfinanzierten Wohnung in Chemnitz überreden lassen (angeblich
zur Altersvorsorge), obwohl ihr Einkommen dafür - wie in vergleichbaren
Fällen - eigentlich zu gering war. "Anja erkannte schon sehr bald, welcher
Mogelpackung sie aufgesessen war," schreiben die Eltern. Sie musste viel
mehr zahlen, als man ihr anfangs vorgegaukelt hatte, bald konnte ihr Gehalt
nicht mehr mit den Kosten Schritt halten. Schließlich setzte die Badenia die
Krankenschwester per Gerichtsvollzieher unter Druck - bis sie keinen Ausweg
mehr sah
Anja ist ein besonders tragisches Opfer der
Immobilienhaie, die in den 90er Jahren Tausende ins Elend stürzten: Sie
trieben mit dem Lockmittel Steuerersparnis die Bezieher kleiner Einkommen
zum Kauf einer Immobilie samt Fremdfinanzierung, obwohl ihr Gehalt nicht
reichte.
Dazu kam, dass sich die Wohnungen häufig nicht zu
den Fantasiepreisen vermieten ließen, die man den Erwerbern versprochen
hatte. Somit klaffte die Kostenschere immer weiter auseinander und trieb
manchen Käufer in die Verzweiflung.
Der "Stern" berichtete über zwei weitere Fälle:
Aldi-Filialleiter Bernd M.-W. erhängte sich 2003, als der Offenbarungseid
drohte. Harald H., ein 44-jähriger Müllwerker aus Lünen, verschwand am 13.
März 2002 spurlos. 13 Tage später fand ein Spaziergänger seine Leiche im
Datteln-Hamm-Kanal. Im Abschiedsbrief an die Familie steht, dass er nicht
mehr leben wolle. "Die Schulden waren ihm über den Kopf gewachsen, er wusste
nicht mehr ein noch aus", sagt sein Bruder.
Aus Anjas Bekanntenkreis heißt es, dass sie Tränen
der Verzweiflung über den ihr abgezwungenen Offenbarungseid und die
Gehaltspfändung vergoss. Ihre Eltern glauben, Anja könnte noch leben, wenn
die Badenia den Weg über Anjas Anwälte eingehalten hätte, statt sie direkt
massiv unter Druck zu setzen.
Die Anwälte wurden im Mai 2003 eingeschaltet. Ein
Vergleich mit der Bausparkasse kam nicht zustande. Die Eltern sagen: Die
Badenia hätte Vergleiche mit Kunden in Not abgeschlossen, deren Einkommen
nur 100 Euro über der Pfändungsgrenze liege. Anjas Einkommen lag 200 Euro
darüber, 200 Euro, die letztlich über Leben und Tod entschieden.
Die Pressesprecherin der Bausparkasse sagt, die
Badenia habe nur Finanzierungen vermittelt, nicht die strittigen und
überbewerteten Wohnungen. Das war die Firma Heinen & Biege. Allerdings saß
in deren Beirat der ehemalige Badenia-Vorstand Elmar Agostini, gegen den
inzwischen der Staatsanwalt ermittelt. Und natürlich hatte er - wie man bei
der Badenia beschwichtigt - keinerlei Einblick ins operative Geschäft der
inzwischen pleite gegangenen Drücker-Firma. Wozu saß er dann überhaupt im
Beirat?
Ein Häuflein Verzweifelter demonstrierte
vergangenen Freitag vor der Badenia-Zentrale in Karlsruhe. Sie pfiffen,
schwenkten Plakate. "Sie sind schuld am Tod meiner Tochter," rief Anjas
Vater über einen Lautsprecher zur Glasfassade hinauf. "Kommen Sie herunter
und schauen Sie mir in die Augen." Die Pressesprecherin der Badenia sagte,
dies sei keine Art der Kommunikation.
Von unserem Redaktionsmitglied Manfred Schweidler