Ostthüringer Zeitung vom
11.12.2004
Das kurze Leben der Anja Schüller
Die Greizer Freidenker
diskutieren über ein tragisches Schicksal und die Fakten dahinter
Greiz (OTZ/R. K.). Greifbar nahe wurde das tragische Schicksal von Anja
Schüller -aus den Medien Vielen schon bekannt - auf der gut besuchten
Veranstaltung am Donnerstagabend, zu der die Freidenker deren Vater
Klaus Schüller nach Greiz eingeladen hatten. "Wie geht jede Gesellschaft
mit dem Menschenrecht um?" - eine Frage, die sowohl in ihrer Bilanz als
auch später in der Diskussion eine tragende Rolle spielte. Der Vater
berichtete folgendes: Die 22-jährige Anja Schüller hatte im November
1999 zwecks Altersvorsorge ohne Eigenkapital eine Eigentumswohnung in
Chemnitz gekauft, deren Erwerb die Bausparkasse "Badenia" finanzierte.
Zwei Bausparverträge wurden mit ihr abgeschlossen. Die Raten sollten
durch Mieteinnahmen und Steuerersparnis getilgt werden. Die
prognostizierten Einnahmen ließen sich in dieser Wohngegend jedoch nicht
erzielen. Anja Schüller musste den Offenbarungseid leisten. Die
Bausparkasse forderte schließlich durch Pfändung etwa 70000 Euro von
ihr. Eine für Frau Schüller ausweglose Situation. 34 Jahre und elf
Monate hätte sie in die Bausparkasse ein- und abzahlen müssen. Im
Polizeiprotokoll, so berichtet der "Stern" dann "Selbsttötung durch
Vergiftung, Verätzung. Wegen wirtschaftlicher Notlage". Und "der vierte
Selbstmord", den Kritiker der "Badenia" zurechnen. Sachlich die Fakten,
hinter denen eine zielstrebige junge Frau voller Hoffnungen stand, die
sich als Krankenschwester einen sehr verantwortungsvollen Beruf
ausgesucht hatte, die Gedichte schrieb, die kontaktfreudig,
selbstbewusst und stolz ihr Leben in die Hände nehmen wollte. Auch
Eltern werden sichtbar, die zuerst fast verzweifeln, die dann aber ihre
Trauer damit bewältigen, dass sie dieses Leid anderen ersparen möchten.
Sie lassen das Schicksal ihrer Tochter nicht unwidersprochen, gehen an
die Öffentlichkeit und fragen nach.
Sie fordern von der
Politik, Gesetzeslücken zu schließen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die
Ähnliches künftig verhindern, obwohl ihnen das die Tochter nie
wiederbringt. Eine Stiftung ist sogar angedacht, die Notleidenden in
ähnlicher Situation hilft. Anschließend spricht der
Versicherungsfachwirt und Stadtrat Holger Steiniger. Dabei wird
deutlich, dass Versicherungen und Bausparkassen notwendige Funktion
besitzen, dass es aber auch unseriöse und mangelhaft qualifizierte
Versicherungsvertreter gebe. Wenn jemand merke, dass ein Vertrag die
eigene Leistungsfähigkeit übersteige, dann solle er auch den Versuch
unternehmen, trotz wirtschaftlicher Verluste auszusteigen.
In der spannungsgeladenen
Diskussion in der Cafeteria des Greizer Landratsamtes werden viele
Fragen deutlich. Wie wurde und wird überhaupt eine Bonitätsprüfung des
Klienten durchgeführt? Warum ist nicht Umkehr der Beweislast gesetzlich
verankert, in der jeder Vermittler belegen können muss, dass er seine
Beratungs- und Informationspflichten erfüllt hat? Warum wird keine
Mindestqualifizierung der Versicherungsvertreter festgelegt? Wie ist
eine Altersabsicherung für jeden überhaupt noch möglich? Fragen, bei
denen der Gesetzgeber gefordert ist.
10.12.2004