Der Bundesverband der Verbraucherzentralen in
Deutschland (VZBV) hat zusammen mit engagierten Anwälten und
Bundesminister a.D. Gerhart Rudolf Baum das
Göttinger Kommuniqué vom 21.02.2004 verfasst.
Skandal um
Schrottimmobilien: "Jederzeit wieder möglich"
vzbv fordert besseren Anlegerschutz
21.02.2004 -
Der Verbraucherzentrale Bundesverband
(vzbv) und die Anwälte Tausender geprellter Kapitalanleger haben die
Bundesregierung zu einem besseren Anlegerschutz aufgerufen. Hintergrund sind
die sogenannten Erwerbermodelle, bei denen Banken in den 90er Jahren
Hunderttausenden von Anlegern stark überteuerte Immobilien verkauft hatten.
Die Anleger sitzen heute auf unverkäuflichen Immobilien, müssen aber
gleichzeitig überhöhte Kredite zurückzahlen. "Mit der heutigen Gesetzgebung
kann sich ein solcher Fall jederzeit wiederholen", sagte vzbv-Vorstand
Professor Edda Müller bei einer Veranstaltung mit Betroffenen in Göttingen.
"Der Schrottimmobilien-Skandal zeigt, dass Anleger bis heute nicht ausreichend
vor den betrügerischen Machenschaften professioneller Vermittler geschützt
sind."
Der frühere Bundesinnenminister und Verbraucheranwalt Gerhart Baum rief die
geprellten Anleger auf, sich nicht in die Rolle der gierigen Steuersparers
drängen zu lassen. "Diejenigen, die diese Objekte verkauft haben, haben von
Anfang an gewusst, dass sie nicht werthaltig waren - sie haben schamlos die
Sorge der Menschen um die private Altersvorsorge ausgenutzt."
Ein besserer Anlegerschutz ist nach Auffassung des vzbv unabdingbare
Voraussetzung dafür, dass die Verbraucher mehr Eigenverantwortung bei der
privaten Altersvorsorge übernehmen können. "Das Wort von der
Eigenverantwortung wird zur Sprechblase, wenn die Politik die Verbraucher bei
der Geldanlage ins offene Messer laufen lässt", so Edda Müller.
Der vzbv veröffentlichte einen Fünf-Punkte-Katalog, mit dem der Schutz
privater Kapitalanleger verbessert werden soll:
- Umkehr der Darlegungs- und Beweislast: Wer Anlageprodukte an private
Verbraucher verkauft, muss belegen können, dass er seine Beratungs- und
Informationspflichten erfüllt hat. In anderen Bereichen - etwa bei der
Produktsicherheit oder bei der Haftung für Aktienprospekte - ist die
Beweislastumkehr längst erfolgreich als allgemeiner Standard etabliert.
- Verlängerung der Verjährungsfristen: Wer bei der Geldanlage falsch oder
ungenügend beraten wurde, kann seine Ansprüche nur maximal drei Jahre geltend
machen - auch wenn sich bei langfristigen Geldanlagen die negativen Folgen
einer Falschberatung erst wesentlich später zeigen. Die Verjährungsfristen
waren zum Nachteil der Verbraucher erst vor wenigen Jahren von bis zu 30 (!)
auf zehn oder sogar nur drei Jahre verkürzt worden. Verschärfte
Beratungspflichten von Banken und Versicherungen laufen mit derart kurzen
Verjährungsfristen ins Leere.
- Mehr Pflichten für Vermittler: Der Schrottimmobilienskandal wurde erst
möglich, weil Banken und Bausparkassen mit freiberuflichen Vermittlern und
Strukturvertrieben zusammenarbeiteten, die keine höheren Auflagen haben als
Losverkäufer auf dem Rummelplatz, von einer Ausbildung ganz zu schweigen. Als
Mindeststandard sind Registrierungs- und Haftungsregeln notwendig sowie eine
ausreichende Vermögensschadenhaftpflichtversicherung.
- Stärkung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BAFin: Der
Verbraucher- und Anlegerschutz findet derzeit als Aufgabe der BAFin nicht
statt - Ziel der Arbeit der Bundesanstalt darf aber nicht nur die Aufsicht
über die Zahlungsfähigkeit der Unternehmen sein. So wie es in anderen
europäischen Ländern längst selbstverständlich ist, muss die Arbeit der
Bankenaufsicht transparenter werden und der Verbraucherschutz gesetzlich als
Aufsichtszweck festgeschrieben werden.
- EU-Verbraucherkreditrichtlinie: Die derzeit im Europäischen Parlament und im
Rat diskutierte Vorschlag der Verbraucherkreditrichtlinie muss auch die
Immobiliardarlehen umfassen. Der Fall der Schrottimmobilien zeigt, das das
vorhandene Schutzniveau hier gerade nicht ausreicht. Auch für verbundene
Geschäfte - also finanzierte Kaufverträge, mithin auch Immobilienkaufverträge
- muss es durch die Richtlinie klar definierte Verbraucherschutzstandards
geben.
Hintergrund:
Schrottimmobilien und Erwerbermodelle
Mit Wissen und unter aktiver Beteiligung einiger Banken und Bausparkassen
hatten Strukturvertriebe und Vermittler in den 90er Jahren und bis heute
Hunderttausenden oft gering- oder normalverdienenden Verbrauchern weit
überteuerte Immobilien und Anteile an Immobilienfonds verkauft. Finanziert
wurden die Immobilienkäufe durch gleichzeitig vermittelte Darlehen. Dabei
überstieg die Darlehenssumme häufig den Wert der Immobilien.
Mit der Täuschung über den Wert dieser so genannten Erwerbermodelle brach in
der Folge regelmäßig auch die gesamte Finanzierung zusammen, da Mieterträge
und Steuervorteile nicht ansatzweise zu erzielen waren, um die Darlehenskosten
abzudecken. Für die meisten Betroffenen liegen die Folgen in steigenden Kosten
und in einer drohenden lebenslangen Überschuldung bei den Kreditgebern, deren
Unterstützung diese Modelle erst möglich gemacht haben.
Tausende suchen ihr Recht in der gerichtlichen Auseinandersetzung mit den
beteiligten Banken. Diese Auseinandersetzungen stehen für einen Teil der Fälle
vor einer entscheidenden Wende - es wird erwartet, dass der Europäische
Gerichtshof noch in diesem Jahr zu einer Frage entscheiden wird, die der
Bundesgerichtshof bisher immer zu Lasten der betroffenen Verbraucher ausgelegt
hat.
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