Abschreibungspotential für
Geldinstitute in Milliardenhöhe
von Ruth
Bohnenkamp
Nicht nur für Geringverdiener, sondern auch für
gut verdienende Ärzte, Anwälte und leitende Angestellte hatten Vermittler
in den 90er Jahren Produkte im Angebot: geschlossene Immobilienfonds.
Genau wie die Wohnungen wurden sie oft zu überhöhten Preisen und auf
Kredit verkauft, belastet mit hohen Provisionen. Laut Fondsanalyst Stefan
Loipfinger investierten Anleger allein in den 90er Jahren mehr als 85
Milliarden Euro in Anteile an deutschen Bürogebäuden und Einkaufscentern.
Mehr als 90 Prozent dieser Fonds, schätzen Experten, haben aktuell
wirtschaftliche Probleme. Viele Investoren haben jahrelang keine
Ausschüttungen mehr erhalten. Dagegen drängten die Banken auf Einhaltung
der Kreditraten.
Die Grundsatzurteile des 2. Zivilsenats des
Bundesgerichtshofs vom Sommer eröffneten Anteilseignern neue
Möglichkeiten, Banken in Regreß zu nehmen. Wer den kreditfinanzierten
Anteil über einen Treuhänder erworben hat, so ein Urteilsfall, kann die
Beteiligung an die Bank abtreten und erhält im Gegenzug Zins- und
Tilgungsraten erstattet. Und auch für Besitzer wertloser Immobilien, die
sie über die Badenia-Bausparkasse, Hypo-Vereinsbank oder andere Banken
finanziert haben, gibt es Grund zur Hoffnung. In zwei Verfahren vor dem
Europäischen Gerichtshof müssen die Richter noch klären, ob der Widerruf
des Kreditvertrags das gesamte Geschäft unwirksam macht.
Auch für die beteiligte Bankenwelt sind diese
Verfahren von großer Brisanz: Ex-Finanzminister Theo Waigel - nicht nur
Mitglied im Aufsichtsrat der AMB Generali, sondern auch im Aufsichtsrat
der Aachener und Münchner, zu dem auch die Bausparkasse Badenia gehört -
meldete sich bei der EU-Kommission persönlich zu Wort und erläuterte die
Rechtslage aus Bankensicht. Die EU-Kommission ist wichtig, weil sie vom
Europäischen Gerichtshof in den Verfahren zur Stellungnahme aufgefordert
wurde. In einem kurze Zeit später formulierten Schreiben an "Herrn
Generaldirektor Dr. Schaub" von der EU-Kommission greift Andreas Früh,
Chefsyndikus der Hypo-Vereinsbank, das Telefongespräch auf. Er nimmt darin
Bezug auf "Ihr Telefonat mit Herrn Dr. Waigel" und übersandte gleichzeitig
eine rechtliche Stellungnahme zum Verfahren - obwohl die Hypo-Vereinsbank
dabei gar nicht betroffen ist. In der Stellungnahme schätzt Früh das
"Volumen der steuerbegünstigten Investitionen in Deutschland seit
Inkrafttreten des Haustürwiderrufsgesetzes auf mehrere Hundert Milliarden
Mark". Auch Fondsmanager wissen, daß es hier um Abschreibungspotential in
Milliardenhöhe geht.
Entsprechend nervös zeigen sich Banken im Umgang
mit den Kunden. Einige wollen Fakten schaffen. Besitzer von
Schrottimmobilien werden serienmäßig angeschrieben und sollen ihre
Verträge nachträglich genehmigen. Kein Wort davon in den Anschreiben, daß
sie damit die Chance verlieren, von einem positiven Richterspruch in
Luxemburg zu profitieren. "Vor einer Unterschrift ist dringend zu warnen",
sagt Frank-Christian Pauli von der Verbraucherzentrale Bundesverband.
Besonders dreist geht zur Zeit die Landesbank Baden-Württemberg, die in
großem Stil Wohnungen und Fondsanteile finanziert hat, mit ihren Kunden
um: Sie fordert diese auf, die Verträge binnen einer Frist von einer Woche
zu genehmigen. Wer nicht mitmacht, dem droht eine Klage. "Damit werden die
Anleger zum zweiten Mal über den Tisch gezogen", sagt Rechtsanwalt Steffen
Gründig aus Zwickau. Anwältin Petra Brockmann von Hahn, Reinermann &
Partner in Hamburg hält das Vorgehen für "absolut unseriös".
Immerhin führt die aktuelle Entwicklung dazu, "daß
sich die Position der Anleger bei außergerichtlichen
Vergleichsverhandlungen durch die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung
jetzt deutlich verbessert hat", sagt Gründig. Statt einer Klagewelle
halten es Anlegeranwälte - trotz der Rechtslage - nach wie vor für die
beste Lösung, einen Vergleich zu schließen, bei dem alle Seiten
verzichten.
Artikel erschienen am 7. November
2004