BILD
Thüringen
vom 15.11.2004:
"Ich habe keine Kraft mehr zu kämpfen!"
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/docs/15_11_04_TH_003.pdf
BILD am
Sonntag
24.10.2004
Immobilien-Skandal - Schon 4 Tote
Hunderte Kleinanleger wurden
mit Billig-Wohnungen in die Schuldenfalle gelockt. Statt im Alter versorgt
zu sein sind viele von ihnen ruiniert. Einige nahmen sich sogar das Leben.
Von Steffen Fründt und Axel
Sturm.
Seine Hand zittert, als er das
Foto aus der Tasche zieht. Darauf ist eine junge Frau zu sehen mit blondem
Kurzhaarschnitt und hellen träumerischen Augen. Das Bild einer hübschen
Mittzwanzigerin, die das Leben noch vor sich hat. „Anja, meine Tochter. Sie
war so selbstbewusst, so lebensfroh – und dann – nur wegen diesem
Scheiß-Geld!“
Die Stimme von Klaus Schüller
(54) wird ganz leise. Er muß wieder an diesen Moment denken, als er vor fünf
Wochen die Wohnung seiner Tochter in Würzburg betrat und sie tot auf dem
Bett liegen sah. Neben ihr ein Abschiedsbrief- und ein
Vollstreckungsbescheid der Bausparkasse. Die OP-Schwester (28) hatte sich
das Leben genommen, weil ein dubioses Immobiliengeschäft ihre Zukunft
zerstört hatte.
Freitag in Karlsruhe auf dem Badenia-Platz: Vor der Zentrale von
Deutschlands viertgrößter Bausparkasse (30 Mrd. Euro Jahresumsatz)
versammeln sich aufgebrachte Männer und Frauen.
Es sind Kleinanleger, die wie
Anja Schüller eine Eigentumswohnung als Altersvorsorge erwarben und diese
mit speziellen Bausparverträgen der Badenia finanzierten. Arbeiter,
Handwerksgesellen, Müllwerker – „ kleine Leute“, die sich ein wenig
Sicherheit für den Lebensabend schaffen wollten. Doch ihre „Lebensträume“
(Werbeslogan der Bausparkasse) platzten. Wie der von Papiermacher Fritz K.
(58) aus Hannover, der für 140 000 Mark eine 28-Quadratmeter-Wohnung kaufte,
deren Wert ein Sachverständiger später auf 60 000 Mark schätzte. Die
Kleinanleger sitzen auf Schrottimmobilien und hohe Schulden, viele stehen
vor dem Ruin.
„Das Verhalten der Badenia ist
menschenverachtend und zynisch“,sagt der Rechtsanwalt und ehemalige
Bundesminister Gerhard Baum, der mit dem Düsseldorfer Anwalt Julius Reiter
inzwischen mehrere hundert Geschädigte vertritt, „ Es ist der größte
Immobilienskandal Deutschlands.“
Nach dem Vorwurf der
Opferanwälte soll die Badenia in enger Verflechtung mit dubiosen
Vermittlerfirmen 8000 Anleger in die Schuldenfalle gelockt haben. Es geht um
Bausparverträge mit einem Volumen von 680 Millionen Euro. Jetzt ermittelt
auch die Staatsanwaltschaft Mannheim gegen ehemalige leitende Mitarbeiter
der Badenia wegen Betrugsverdachts- die Badenia selbst wollte gegenüber BamS
keine Stellung nehmen.
Oberstaatsanwalt Volkmar
Arnold: „ Den Käufern wurden Finanzierungen für minderwertige Wohnungen
verschafft. Die Bausparverträge wiesen eine ungewöhnlich lange Laufzeit von
etwa 32 Jahren auf. Der Finanzierungsaufwand war so groß, dass die Anleger
unter der Last zusammenbrachen. Bei den Geschädigten handelt es sich zumeist
um minderbemittelte Leute, die sich normalerweise keine Immobilie leisten
könnten.“
Anja Schüller bekam 1998 Besuch
vom Immobilienvermittler Axel A. Sie war drei Jahre zuvor nach Abschluß
ihrer Ausbildung zur Krankenschwester aus ihrer thüringischen Heimatstadt
Meiningen nach Würzburg gezogen, hatte dort eine Stelle in der Uni- Klinik
gefunden. Von dem seriös wirkenden Immobilienvermittler ließ sie sich zum
Kauf einer Plattenbauwohnung in Chemnitz überreden. Ohne Eigenkapital, wie
Axel A. ihr vorrechnete. Statt dessen wurde die rund 140 000 Mark teure
Wohnung über zwei Badenia- Bausparverträge finanziert. „Sie hat mir am
Telefon gesagt, dass sie etwas für ihre Zukunft tun wollte“, erinnert sich
der Vater. „Doch die Mieteinnahmen waren geringer als erwartet, auch die
erwartete Steuerersparnis blieb aus. Statt dessen musste Anja immer mehr
zahlen.“
Denn im Gegensatz zu üblichen
Bausparverträgen mit festen Raten waren die Badenia-Finanzierungen so
gestaltet, dass die Belastungen mit der Zeit immer höher wurden. Als die
Krankenschwester die Raten irgendwann nicht mehr aufbringen konnte, drohte
die Badenia mit Lohnpfändung und Zwangsvollstreckung: Anja Schüller sollte
70 000 Euro zahlen. Ihr Vater: „Anja standen vor Scham die Tränen in den
Augen, als man auf der Arbeit von ihren Schulden erfuhr. Die vielen Schulden
ließen sie verzweifeln, sie sah wohl keine Zukunft mehr“, so der Vater. Am
17. September 2004 legte sich Anja Schüller eine tödliche Infusion. Sie nahm
sich das Leben- wie zuvor schon drei andere Anleger. Auch diese hatten
offenbar keine Perspektive mehr für sich gesehen.
Um sich abzusichern, hatte sich
Anja Schüller noch zu einer Risikolebensversicherung bei der Aachener und
Münchener überreden lassen, dem Mutterkonzern der Badenia. Diese wird nun
ausgezahlt – voraussichtlich an die Badenia.
WAS WUSSTE DER FINANZVOSTAND?
Die Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft Mannheim richten sich vor allem gegen diesen Mann: Elmar
Agostini (Foto), ehemaliger Finanzvorstand der Badenia- Bausparkasse. Er
soll den Vorwürfen zufolge bei Immobilienabzocke die Strippen gezogen haben.
Agostini war nicht nur Manager bei der Badenia, sondern zugleich im
Aufsichtsrat der Immobilienfirma Allwo und Beirat der Vermittlungsfirma
Heinen & Biege.
Ein lukratives
Unternehmensdreieck: Die Allwo wollte Immobilien verhökern, von denen viele
noch aus dem Pleiteprojekt „Neue Heimat“ stammten. Heinen &
Biege-Mitarbeiter vermittelten die Wohnungen an Privatanleger, wobei
überzogene Provisionen von bis zu 30 Prozent geflossen sein sollen. Und die
Badenia übernahm die Finanzierung und kassiert bis heute satte Zinsen. Alle
profitierten bei dem Dreiecksdeal- bis auf die Kleinanleger. Die
Staatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten zudem Prozeßbetrug vor. Als die
Badenia- Opfer vor Gericht zogen, sollen die Immobilienvermittler zu
Falschaussagen gedrängt worden sein. Agostini soll sich derzeit im Ausland
aufhalten.